Letzte Woche haben wir die Annäherung an das Thema Aphasie mit einem Gedankenexperiment begonnen. Gedankenexperiment deswegen, weil wir nicht von Aphasie betroffen sind. Dennoch möchten wir uns mit dem Thema beschäftigen. Da es um Menschen geht, können wir mittels Vorstellungskraft und Einfühlungsvermögen versuchen, uns in die Situation der handelnden Personen zu versetzen. Die Fortsetzung unseres Gedankenexperimentes führt uns also heute zu verschiedenen Personen. Alle Personen sind mittel- oder unmittelbar von einer Aphasie nach Schlaganfall betroffen. Für unser Experiment geben wir unseren Personen Namen und machen sie “greifbarer”. In Gedanken lassen wir Peter selbst sprechen:
Peter, 40 Jahre, Maschinenschlosser, Fußballverein aktiv, sportliche Leitung Jugendfußball, Schlaganfall vor 2 Jahren, Aphasie, Halbseitenlähmung rechts, verheiratet, 2 Kinder
“Damals, nach meinen Schlaganfall, als ich die notfallmedizinische Behandlung hinter mir hatte, erinnere ich mich noch gut an eine bestimmte Situation. Meine Ergotherapeutin hielt mir eine Feile hin. Ich kannte das Werkzeug, klar bei meinem Beruf. Nur, wie heißt das Ding was ich sehe? Ich grübelte und zermarterte mir das Gehirn. Umsonst, mir fiel der Name nicht ein. Das geht mir öfters so. Ich erkenne Dinge oder ich weiß wenigstens, dies hab ich schon gesehen. Der Name der Dinge ist nicht greifbar. Mir liegt es auf der Zunge, aber es kommt mir nicht über die Lippen. Nach Worten ringen das ist meine Hauptbeschäftigung, so scheint es mir. Wenn nur nicht alles so anstrengend und kräfteraubend wäre. Das ständige Überlegen macht mich müde. Oft würde ich gerne noch etwas sagen, schaffe es einfach wegen meiner Müdigkeit nicht mehr. Klar, auch meine Halbseitenlähmung fordert mich kräftemäßig. Leichteste Aufgaben, die ich früher ganz einfach, so im “vorbeigehen” erledigt habe, fallen mir heute schwer. Ich brauche viel mehr Zeit für alles. Ich brauche Zeit zum Überlegen, Zeit zum Schuhe binden, Zeit zum Hören und verarbeiten. Zeit und immer wieder Zeit. Katharina will los zum Einkaufen und ich soll mit. Einerseits ist das prima, mal wieder raus, was anderes sehen. Wenn da nur nicht alles so schnell gehen würde. Mir ist schon klar dass es an mir liegt, aber es ist eben alles schneller als in meiner Wirklichkeit. Wir brauchen noch Waschmittel! Bis ich das Waschmittel gefunden habe, hätte Katharina wahrscheinlich schon den halben Laden in den Einkaufswagen geräumt. An der Kasse flitzen wir nur so durch und schon sind wir wieder zuhause. Neulich haben wir Memory gespielt und ich denke, dass mir Karten günstig gelegt wurden damit ich auch ein Erfolgserlebnis habe. Hat leider nicht geklappt. Ich habe keine Paare gefunden und fühle mich reichlich blöd im Kopf. Manchmal, wenn ich jemanden vom Fußballverein treffe fällt mir auf, wie schwierig es sein muss mit mir zu reden. Da wird mir eine Frage gestellt und ehe ich richtige Worte finde, erhalte ich prompt die Antwort vom Fragenden. Das ist komisch. Ich bemühe mich ja, aber ganz so schnell geht es eben nicht. Viele Menschen können einfach die Pausen in einem Gespräch mit mir nicht aushalten. Das frustriert mich und manchmal denke ich, es wird doch wohl mal dieser Traum endlich zu Ende sein. Ist er sicher nicht, das ahne ich. Mein Ziel ist es, endlich wieder am Vereinsleben teilnehmen zu können — darauf arbeite ich hin und bin froh, dass meine Frau und auch meine Kinder mir dabei helfen wie sie können.”
Umfänglich über die Probleme zu berichten ist nicht leicht möglich. Jeder Mensch ist anders. Jede Lebensgeschichte ist anders. Somit können wir sicher kein komplettes oder allgemein gültiges Bild von Aphasie zeichnen. Wichtig ist uns, dass wir Sie zum Nachdenken anregen können. Wir wollen in anderer als der sonst üblichen Weise über Aphasie berichten. Nächste Woche schreibt Peters Frau Katharina wie sie Peter erlebt und was Ihre Schwierigkeiten sind. Auch Peters Kinder kommen zu Wort.