Aphasie macht sprachlos [2]

Letz­te Woche haben wir die Annä­he­rung an das The­ma Apha­sie mit einem Gedan­ken­ex­pe­ri­ment begon­nen. Gedan­ken­ex­pe­ri­ment des­we­gen, weil wir nicht von Apha­sie betrof­fen sind. Den­noch möch­ten wir uns mit dem The­ma beschäf­ti­gen. Da es um Men­schen geht, kön­nen wir mit­tels Vor­stel­lungs­kraft und Ein­füh­lungs­ver­mö­gen ver­su­chen, uns in die Situa­ti­on der han­deln­den Per­so­nen zu ver­set­zen. Die Fort­set­zung unse­res Gedan­ken­ex­pe­ri­men­tes führt uns also heu­te zu ver­schie­de­nen Per­so­nen. Alle Per­so­nen sind mit­tel- oder unmit­tel­bar von einer Apha­sie nach Schlag­an­fall betrof­fen. Für unser Expe­ri­ment geben wir unse­ren Per­so­nen Namen und machen sie “greif­ba­rer”. In Gedan­ken las­sen wir Peter selbst sprechen:

Peter, 40 Jah­re, Maschi­nen­schlos­ser, Fuß­ball­ver­ein aktiv, sport­li­che Lei­tung Jugend­fuß­ball, Schlag­an­fall vor 2 Jah­ren, Apha­sie, Halb­sei­ten­läh­mung rechts, ver­hei­ra­tet, 2 Kinder

“Damals, nach mei­nen Schlag­an­fall, als ich die not­fall­me­di­zi­ni­sche Behand­lung hin­ter mir hat­te, erin­ne­re ich mich noch gut an eine bestimm­te Situa­ti­on. Mei­ne Ergo­the­ra­peu­tin hielt mir eine Fei­le hin. Ich kann­te das Werk­zeug, klar bei mei­nem Beruf. Nur, wie heißt das Ding was ich sehe? Ich grü­bel­te und zer­mar­ter­te mir das Gehirn. Umsonst, mir fiel der Name nicht ein. Das geht mir öfters so. Ich erken­ne Din­ge oder ich weiß wenigs­tens, dies hab ich schon gese­hen. Der Name der Din­ge ist nicht greif­bar. Mir liegt es auf der Zun­ge, aber es kommt mir nicht über die Lip­pen. Nach Wor­ten rin­gen das ist mei­ne Haupt­be­schäf­ti­gung, so scheint es mir. Wenn nur nicht alles so anstren­gend und kräf­te­rau­bend wäre. Das stän­di­ge Über­le­gen macht mich müde. Oft wür­de ich ger­ne noch etwas sagen, schaf­fe es ein­fach wegen mei­ner Müdig­keit nicht mehr. Klar, auch mei­ne Halb­sei­ten­läh­mung for­dert mich kräf­te­mä­ßig. Leich­tes­te Auf­ga­ben, die ich frü­her ganz ein­fach, so im “vor­bei­ge­hen” erle­digt habe, fal­len mir heu­te schwer. Ich brau­che viel mehr Zeit für alles. Ich brau­che Zeit zum Über­le­gen, Zeit zum Schu­he bin­den, Zeit zum Hören und ver­ar­bei­ten. Zeit und immer wie­der Zeit. Katha­ri­na will los zum Ein­kau­fen und ich soll mit. Einer­seits ist das pri­ma, mal wie­der raus, was ande­res sehen. Wenn da nur nicht alles so schnell gehen wür­de. Mir ist schon klar dass es an mir liegt, aber es ist eben alles schnel­ler als in mei­ner Wirk­lich­keit. Wir brau­chen noch Wasch­mit­tel! Bis ich das Wasch­mit­tel gefun­den habe, hät­te Katha­ri­na wahr­schein­lich schon den hal­ben Laden in den Ein­kaufs­wa­gen geräumt. An der Kas­se flit­zen wir nur so durch und schon sind wir wie­der zuhau­se. Neu­lich haben wir Memo­ry gespielt und ich den­ke, dass mir Kar­ten güns­tig gelegt wur­den damit ich auch ein Erfolgs­er­leb­nis habe. Hat lei­der nicht geklappt. Ich habe kei­ne Paa­re gefun­den und füh­le mich reich­lich blöd im Kopf. Manch­mal, wenn ich jeman­den vom Fuß­ball­ver­ein tref­fe fällt mir auf, wie schwie­rig es sein muss mit mir zu reden. Da wird mir eine Fra­ge gestellt und ehe ich rich­ti­ge Wor­te fin­de, erhal­te ich prompt die Ant­wort vom Fra­gen­den. Das ist komisch. Ich bemü­he mich ja, aber ganz so schnell geht es eben nicht. Vie­le Men­schen kön­nen ein­fach die Pau­sen in einem Gespräch mit mir nicht aus­hal­ten. Das frus­triert mich und manch­mal den­ke ich, es wird doch wohl mal die­ser Traum end­lich zu Ende sein. Ist er sicher nicht, das ahne ich. Mein Ziel ist es, end­lich wie­der am Ver­eins­le­ben teil­neh­men zu kön­nen — dar­auf arbei­te ich hin und bin froh, dass mei­ne Frau und auch mei­ne Kin­der mir dabei hel­fen wie sie können.”

Umfäng­lich über die Pro­ble­me zu berich­ten ist nicht leicht mög­lich. Jeder Mensch ist anders. Jede Lebens­ge­schich­te ist anders. Somit kön­nen wir sicher kein kom­plet­tes oder all­ge­mein gül­ti­ges Bild von Apha­sie zeich­nen. Wich­tig ist uns, dass wir Sie zum Nach­den­ken anre­gen kön­nen. Wir wol­len in ande­rer als der sonst übli­chen Wei­se über Apha­sie berich­ten. Nächs­te Woche schreibt Peters Frau Katha­ri­na wie sie Peter erlebt und was Ihre Schwie­rig­kei­ten sind. Auch Peters Kin­der kom­men zu Wort.